Inklusionspädagogik - was ist das?

Die inklusive Schule ist...

...eine Schule, in der die Heterogenität der Schüler nicht geleugnet wird, sondern als Reichtum und Chance verstanden wird
...eine Schule, in der es keine Ausgrenzung gibt
...eine Schule, in der der Unterricht individualisiert wird, um die Potentiale jedes einzelnen Schülers zu fördern und auf die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes Rücksicht zu nehmen
...eine Schule, in der Schüler selbstbestimmt lernen und das Schulleben mitbestimmen können
...eine Schule, die Antworten gibt auf die Fragen unserer heutigen Gesellschaft

Die inklusive Schule ist die notwendige Antwort auf eine immer freier werdende Gesellschaft. Ein Schulsystem, das noch immer versucht, Kinder durch aufwendige Aussonderungssysteme in Kategorien und und leistungshomogene Gruppen einzuteilen und die Kinder "im Gleichschritt marsch" zu belehren versucht, ist dagegen rückständig und überholt. In Bayern gibt es nach den Worten von Prof. Ulrich Heimlich aus München bundesweit den größten Nachholbedarf bei der inklusiven Bildung. Stimmen, die behaupten, wir hätten das alles schon in Bayern, grenzen an Realitätsverleugnung. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist derzeit in vielen Bereichen Exklusion und Stigmatisierung. Die Behauptung "Kooperation = Inklusion" ist laut Prof. Heimlich falsch. Weder MSD, noch Kooperationsklassen noch Außenklassen sind Inklusion. Förderschulen sind laut Prof.Heimlich kein Beitrag zur Inklusion. Das frühe Aussortieren der Grundschüler in Deutschland auf ein drei- bzw. viergliedriges Schulsystem widerspricht den Grundsätzen der Inklusion. Unabhängig von der Frage, ob man die Schulstruktur zugunsten von Gemeinschafts- schulen ändern sollte, ist jedoch auch innerhalb der jeweiligen Schulform die Entwicklung inklusiver Strukturen notwendig.

Möglichkeiten der Gestaltung inklusiver Schulsysteme hat unter anderem Prof. Preuss-Lausitz beschrieben. Es gibt auch einen Gesprächskreis Heterogenität und Bildung in Deutschland.

Inklusion ist eine Schulentwicklungsaufgabe: Als Programm für die Schulentwicklung zur inklusiven Schule stellte Prof. Ulrich Heimlich den Index für Inklusion von Toni Booth aus Großbritannien vor, eine große Materialsammlung für inklusive Strukturen, Organisation von Heterogenität und Lernarrangements. Die größte uns bevorstehende Aufgabe ist die Entwicklung einer inklusiven Kultur (innere Haltung). Die deutsche Übersetzung des Inklusionsindex von Andreas Hinz kann heruntergeladen werden unter www.inklusionspädagogik.de.

In Deutschland kamen die Initialzündungen für gemeinsamen Unterricht aus Hamburg, Bremen und Berlin. Kennzeichen des gemeinsamen Unterrichts sind:
- Selbsttätigkeit
- dem einzelnen wird mehr Hilfe zur Verfügung gestellt nicht - sowohl vom Lehrer als auch von Klassenkameraden, individuelle Diagnostik und Förderplanung ist zukünftig für alle Schüler nötig Die noch übliche sonderpädagogische Diagnostik bei behinderten Kindern wird zunehmend von Inklusionspädagogen in Frage gestellt wird (Fragen an Prof.Wocken zum Sinn der Diagnostik und Diagnostik in der Inklusionspädagogik)
- offene Unterrichtsformen (Freiarbeit, Wochenplanarbeit)
- aber a u c h lehrergesteuerter Unterricht:
Gerade für lernschwächere Kinder ist eine klare Strukturierung notwendig.
- innerhalb der Klassen keine homogene, sondern heterogene Gruppenbildungen

Die größten Änderungen gegenüber der jetzigen Schule sind in der inklusiven Schule nötig bei
- der Vernetzung dieser Stadtteilschulen mit dem jeweiligen Stadtteil
- der Lehrplangestaltung (in Schweden reiche ein ganz dünnes Heft aus, er erinnere sich, dass er im Referendariat noch mit dem dicken bayerischen Lehrplan gearbeitet habe, aber danach dieser nur noch im Regal stand)
- individualisierte Förder- und Therapieangebote, die Fachkräfte müssen zum Kollegium der Regelschule gehören
- Lerninhalte müssen auf die Handlungsebene heruntergebracht werden zur Förderung der Sinneswahrnehmung. Nach Hartmut von Hentig muss vieles aus der Erfahrungswelt der Schüler in die Schule geholt werden.

Die Praxis in den inklusiven Schulen sind heute sehr reformpädagogisch geprägt. Impulse kommen von allen Reformpädagogen wie Peter Pettersen, Maria Montessori, Freinet und auch der Waldorfpädagogik (künstlerischer Unterricht, Epochenunterricht sei eine gute Antwort auf die Auflösung der 45min-Einheiten).

Vorbildhafte Schulen in Deutschland wurden vor allem von Reinhard Kahl durch seine Filme wie "Treibhäuser der Zukunft" bekannt gemacht. Besonders bekannt ist z.B. die Laborschule Bielefeld.

Andere europäische Länder haben bereits ein inklusiveres Schulsystem

Dr.Brigitte Schumann stellt denn auch fest, "dass Deutschland (europaweit) am weitesten von dem Ziel der Inklusion entfernt ist". Während z.B. in England und Finnland nur noch weniger als die Hälfte aller SchülerInnen mit sonderpädagogischen Förderbedarf in Sonderschulen lernen und Länder wie Norwegen oder Italien, aber auch Kanada gar keine Sonderschulen mehr haben, werden in Deutschland noch immer etwa 85% dieser Kinder oft gegen den Willen der Eltern auf eine Sonderschule verwiesen. Zur Unterrichtsqualität an Förderschulen gibt es kaum wissenschaftliche Forschung, auch zur Praxis des inklusiven Unterrichts gibt es zumindest in Bayern bisher keine wissenschaftlichen Begleituntersuchungen. Eine aktuelle bayerische Studie zu Kindern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung lässt ebenfalls den Vergleich von Sonderschulunterricht und inklusiven Unterricht außer Betracht. Andere EU-Länder tun sich leichter damit, Sonderschulen abzubauen und die sonderpädagogischen Kompetenzen in ihre integrierenden Regelschulsysteme zu verlagern, wenn sie kein mehrgliedriges Schulsystem mit dem Zwang zur Leistungshomogenisierung mehr haben. Nähere Informationen zur inklusiven Schulentwicklung im anderen europäischen Ländern finden Sie in unserer Buchempfehlung 1, erschienen im Verlag Barbara Budrich "Lernen über Grenzen - Auf dem Weg zu einer Lernkultur, die vom Individuum ausgeht".

Ausführlich widmet sich das Buch der Frage der Heterogenität in den Lerngruppen und einer Betrachtung, welche Antworten die Schulsysteme verschiedener europäischer Länder darauf gefunden haben. Wer aber insbesondere in den nordischen Ländern ein zum sofortigen Gebrauch einsetzbares Instrumentarium an Lern- und Unterrichtstechniken sucht, das wie ein Rezept funktioniert, wird nicht fündig werden. Eine neue am Individuum ausgerichtete Lernkultur für Deutschland braucht nicht nur Änderungen in der Schulstruktur, sondern auch in der grundle-genden Haltung der LehrerInnen.

Von zentraler Bedeutung ist z.B. das regelmäßig geführte Dreiergespräch zwischen Eltern, Lehrer und Schüler(!) auf gleicher Augenhöhe, in dem klare Vereinbarungen über die Lernziele getroffen werden. Diese Lernentwicklungsgespräche gehen immer von den Stärken des Kindes aus. Die Lehrkraft übernimmt in einem ganz anderem Umfang, als wir es in Deutschland gewohnt sind, die Rolle eines Lernberaters, der die Umsetzung der Lernziele des jeweiligen Kindes gemäß dessen individuellen Entwicklungsplans kontrolliert. Allerdings haben in den nordischen Ländern die Lehrer auch eine ganz andere Präsenzpflicht in der Schule. In Finnland z.B. müssen die Lehrer bei ca. 20 Unterrichtsstunden a 45 min, insgesamt 30 Stunden an 60 min, also etwa die doppelte Zeit in der Schule anwesend sein. Die Verantwortlichkeiten zwischen Schüler, Lehrer und Eltern werden klar aufgeteilt und beschrieben. Oberster Leitsatz ist, dass Schüler nicht beschämt werden dürfen. Die Vertrauenskultur an den Schulen beruht auf folgenden Aspekten: Stärkung des Individuums, Respekt vor dem Schüler, Vertrauen darauf, dass jedes Kind lernen will, Orientierung an den Stärken des Kindes....Vor allem aber werden Fehler nicht als Defizite begriffen, sondern als willkommene Lernanlässe. Das ist eine Sichtweise, von der wir an deutschen Schulen noch weit entfernt sind.


  Nach Oben   Zurück zur Startseite